Die Pandemie hat viele Krankenhäuser nicht nur medizinisch, sondern auch wirtschaftlich an ihre Grenzen gebracht. Wie sie mit Finanzdruck und Pflegenotstand umgehen und sich die Post-Corona-Zeit vorstellen, erklärt uns Michael Decker, Kaufmännischer Direktor des Evangelischen Diakoniekrankhauses Freiburg, im Interview
Pflegenotstand, Profitdruck, Pandemie. Selten war die Situation in Deutschlands Kliniken so angespannt wie in diesen Zeiten. Wie gehen die Krankenhäuser damit um? An welchen Stellschrauben können sie drehen, um einerseits das eigene Überleben zu sichern und andererseits die bestmögliche Versorgung der Patienten zu garantieren? Wir haben diese Fragen Michael Decker, dem Kaufmännischen Direktor und Vorstandsvorsitzenden des Evangelischen Diakoniekrankenhauses Freiburg gestellt.
Herr Decker, wie ist Ihr Haus durch die Pandemie gekommen?
Die Pandemie hatte verschiedene Phasen, von denen jede eigene Herausforderungen mit sich brachte. Anfangs wurden wir alle kalt erwischt, es fehlte an Handschuhen und Masken, Schutzkittel wurden von der Stadt Freiburg aus Dachdämmfolie genäht. Ich hätte nie gedacht, dass ich so was mal erleben würde. Es war ja auch noch niemand geimpft und bei vielen Mitarbeitern regierte verständlicherweise die Angst. Irgendwann griff zum Glück der Rettungsschirm, die Folgewellen haben wir gut überstanden, auch wenn die Intensivstation voll war. Beeindruckend war die Unterstützung der Mitarbeiter untereinander, die allesamt Tag für Tag an die Grenzen ihrer eigenen Kräfte gegangen sind.
Standen die Intensivstationen wirklich kurz vor dem Kollaps?
Ja. Unsere Intensivplätze waren zeitweise alle voll. Wir standen auch vor Situationen, in denen wir fast keine Patienten mehr aufnehmen konnten und nur durch die Absage weiterer planbarer Operationen zusätzliche Plätze hätten schaffen können. Und dann nicht mehr nur die – sagen wir mal – einfacheren, sondern auch die richtig wichtigen wie Krebs-OPs.
Viele Krankenhäuser sollen unter dem eingeschränkten Regelbetrieb finanziell sehr gelitten haben. Stimmt das – und warum ist das so?
Ich will ganz ehrlich sein: Wir wären ohne die Rettungspakete des Bundes vermutlich untergegangen. Nicht direkt insolvent, aber mit einem wirtschaftlich nicht sauberen Ergebnis – denn wir leben nun mal davon, dass das Haus voll ist. Bei uns haben die Rettungspakete recht gut gepasst. Andere Kliniken, beispielsweise Universitätskliniken, haben eine so teure und spezielle Infrastruktur, dass deren Nichtauslastung auch durch ein Rettungspaket nicht kompensiert werden kann. Grundsätzlich gilt für alle Häuser: Wenn die Fallzahlen nicht stimmen, kann man keine schwarzen Zahlen schreiben. Dafür braucht es einen normalen Regelbetrieb.
Warum ist denn die Zahl der Nicht-Corona- Patienten während der Pandemie so stark gesunken? Wirklich nur wegen des eingeschränkten Regelbetriebs?
Nein, viele Menschen hatten auch Angst, sich im Krankenhaus mit dem Virus zu infizieren und haben deshalb Termine oder planbare Operationen nicht wahrgenommen. Aus genau diesem Grund wurden auch viele Vorsorgeuntersuchungen nicht gemacht und damit manche Krankheiten gar nicht entdeckt. Da habe ich auch die Rückmeldung aus den Fachabteilungen bekommen, dass man jetzt gehäuft fortgeschrittene Krankheitsverläufe vorfindet, die bei früherer Diagnosestellung eine bessere Verlaufsprognose gehabt hätten.
Laut Krankenhausbarometer blicken 60 Prozent der Kliniken pessimistisch in die Zukunft. Sie auch?
Alle wissen, dass die Krankenhäuser nicht im Geld schwimmen und durch die Pandemie sind nochmals höhere Kosten entstanden: Wir mussten vermehrt Tests, Masken und Schutzmaterial kaufen – vieles davon zu überteuerten Preisen. Dazu hatten wir bis zu zehn Prozent weniger Fälle – so etwas bekommt keine Einrichtung budgetneutral kompensiert und die Rettungspakete laufen im Sommer aus. Die Situation ist aber im Sommer nicht vorbei. Man wundert sich schon, warum die Politik mit denen, die die Hauptlast dieser Pandemie tragen, so knickerig umgeht. Fazit: Wir werden den Kopf voraussichtlich zwar über Wasser halten können, aber die Luft ist dünn.
Sehen Sie einen Unterschied im Kurs der Regierung, seitdem der Gesundheitsminister Lauterbach und nicht mehr Spahn heißt?
Es wird sicherlich einen relevanten Unterschied geben. Herr Spahn war von einem Ehrgeiz getrieben, der bisweilen irrationale Züge angenommen hat. Sein Ministerium hat in einer irrsinnigen Geschwindigkeit Gesetze verabschiedet, von denen einige vom Grundgedanken her gut, aber nicht zu Ende gedacht und mit der heißen Nadel gestrickt waren. Herr Lauterbach ist als Arzt näher am Geschehen im Krankenhaus dran, was man sicher spüren wird. Den Beweis wird er aber noch antreten müssen. Bisher ist er vor allem Corona- Krisenminister. Was sonst noch von ihm kommt, wird sich zeigen.
Selbst wenn Corona vorbei ist, halten viele Menschen unser Gesundheitswesen für nicht sehr gesund. Direkt gefragt: Bleiben Investitionen in die Zukunft jetzt komplett auf der Strecke?
Zum Teil ist das ganz sicher der Fall. Wir können aber zum Glück noch relativ viele Investitionen durchführen und planen zum Beispiel seit Langem einen Ergänzungsbau. Investitionsvolumen: 40 Millionen Euro – mindestens. Das Projekt ist gestartet und wir sind überzeugt davon, dass dieser Weg der richtige ist, um unser Haus nach vorne zu bringen. Wir investieren außerdem viel Geld in Digitalisierung und profitieren auch vom Krankenhauszukunftsgesetz, in dessen Rahmen zwei Milliarden Euro an die Kliniken ausgeschüttet werden. Natürlich kann man Zukunft immer nur Stück für Stück gestalten, aber wir bekommen das gut hin, gerade jetzt, wo eine gewisse Corona-Routine eingetreten ist.
Pflegenotstand, Personalmangel, schlechte Bezahlung – diese Probleme gab es schon vor Corona. Wie ergeht es Ihnen damit?
Es gibt im Krankenhausmarkt ein generelles Personalproblem, das ist richtig. Die Zeiten, in denen wir uns die Leute aussuchen konnten, sind in manchen Bereichen leider vorbei. Dennoch trifft es die einen mehr als die anderen. Einrichtungen wie wir, die in attraktiven Regionen liegen und ein gutes Betriebsklima haben, können glücklicherweise noch immer verhältnismäßig leicht Personal gewinnen. In anderen Einrichtungen sieht es da aber häufig ganz anders aus.
Ist die Pflege unterbezahlt?
Ich glaube, grundsätzlich ist die Branche attraktiver und die Pflege besser bezahlt, als es einen die öffentliche Wahrnehmung glauben lässt. Auf der anderen Seite muss man aber die Frage stellen, ob es für einen Job mit diesen Anforderungen und dieser Verantwortung nicht mehr Geld geben sollte. Dann muss man aber der Gesellschaft ehrlich vermitteln, dass in diesem Fall der Krankenkassenbeitrag steigen würde. Mein Gefühl ist aber ohnehin, dass es den Mitarbeitern aus der Pflege fast noch wichtiger ist, dass genügend Personal da ist und sie ihren Job gut machen können.
Immer mehr Patienten in immer kürzerer Zeit. Krankhäuser sind zur Effizienzsteigerung verdammt. Mutieren Kliniken zu Fabriken?
Ich glaube, es gibt eine große Bandbreite, wie Medizin gemacht wird. Ja, es gibt auch Krankenhäuser, in denen es nur noch um Profit und Effizienz geht – das finde ich grenzwertig. Ich kenne aber viele Häuser, in denen mit Herzblut gearbeitet wird, wo der Patient immer noch im Mittelpunkt steht und Ärzte und Pflegepersonal ihren Beruf als Berufung sehen.
Fakt ist, dass Patienten weniger lange im Krankenhaus bleiben. Heißt das, dass manche halb krank entlassen werden?
Wir liegen bei der Verweildauer jetzt im Schnitt bei 4,2 Tagen. Das ist nicht lange, muss aber deswegen nicht unbedingt schlecht sein. Durch moderne Verfahren, die viel weniger belastend sind als früher, sind die Patienten heute einfach viel schneller wieder fit. Unabhängig davon gibt es aber tatsächlich einen politisch gewollten Effizienzdruck – schon seit Jahrzehnten wird an den Krankenhäusern herumgespart.
Was könnte man denn anders machen? Was machen unsere Nachbarländer besser oder schlechter?
Sich aus anderen Ländern einzelne Dinge herauszupicken, die dort vielleicht gut funktioniert haben, ist nicht zielführend, weil man immer das große Ganze sehen muss. Da spielen ja viele verschiedene Faktoren eine Rolle. In Skandinavien gibt es im Verhältnis viel weniger Krankenhäuser als hierzulande und dennoch ist die Qualität des Gesundheitswesens aufgrund der dort geschaffenen Gesundheitsstrukturen sehr gut. Das bedeutet aber nicht, dass das eins zu eins auf uns übertragbar wäre – Deutschland ist an vielen Stellen dann doch anders. Grundsätzlich glaube ich, dass wir zunehmend mehr Angebote ambulant machen müssen und werden.
Warum?
Die Gesellschaft wird immer älter, bringt also immer mehr Krankheiten mit. Gleichzeitig wird die Medizin immer besser, sodass man immer mehr Eingriffe ambulant durchführen kann, bei denen vor einigen Jahren noch eine stationäre Behandlung notwendig war. Zudem können viele Krankheiten, an denen die Patienten früher noch verstarben, heute durch verschiedene medikamentöse oder operative Verfahren gut beherrscht werden. Wir operieren heute beispielsweise minimalinvasiv Hüften, bei denen die Patienten schon am ersten Post-OP-Tag aufstehen können. Langfristig glaube ich deshalb, dass sich auf den Stationen eher die schwerkranken Patienten versammeln werden und dass leichtere oder einfacher zu behandelnde Fälle ambulant abgewickelt werden. Ambulante Leistungserbringung ist derzeit für eine Klinik leider maximal unattraktiv. Die große Aufgabe der Zukunft wird deshalb sein, die Schnittstelle zwischen stationärer und ambulanter Betreuung gut auszugestalten, damit die Patienten eine optimale Versorgung bekommen.
Ein Beitrag von Patrick Czelinski